Wunderwerke aus Wurzeln und Wipfeln

 

Local Hero 2002 / Thomas Rees aus Kappel ist Erschaffer einer einzigartigen Weihnachtskrippe / Open-Air-Kunstpark nach Lothar-Chaos

 

Weihnachten 1999, hier fängt die Geschichte an: Der Sturm Lothar fegt mit Tempo 270 über Mitteleuropa. Auch der Schwarzwald bleibt nicht unverschont, und noch heute kann man die Schneise verfolgen, die sich die Natur hier gepflügt hat. So auch auf dem Kamelberg, der zwischen Kappel und Kirchzarten liegt. Drei Jahre später, wieder zur Weihnachtszeit: Otto Faller ist pensionierter Holzwirt und hat sich einen Hof auf dem Pfeiferberg gekauft. Seine Tochter Petra wünscht sich zu Weihnachten eine lebensgroße Krippe vor dem abgelegenen Bauernhaus am Waldrand. Gesagt, getan. Faller ruft seinen Bekannten Thomas Rees an, ob man des Töchterchens Wunsch nicht gemeinsam in die Tat umsetzen soll. Rees war schon als kleiner Junge von geschnitzten und gebastelten Figürchen aus Holz begeistert, vor Fallers Hof will er etwas Besonderes machen, keine kleinen Schaufensterfiguren, „das war mir zu wenig“. In nur zwei Wochen baut er aus Lothars Fallholz mit der Kettensäge, dem Hammer und dem Schnitzmesser raumgreifende Figuren. Im normalen Leben ist Thomas Rees (47) ein Mitarbeiter eines großen deutschen Kommunikationsunternehmens. Wenn es aber auf die Weihnachtszeit zugeht, findet man ihn nicht im Büro vorm Rechner, sondern im Schwarzwald auf dem Berg an der Kettensäge. Dort baut er im Zweijahresrhythmus aus Holzresten eine überlebensgroße Krippe auf, die dann für hunderte Menschen zum Wallfahrtsort erhoben wird. Wer beim Wandern unvermutet auf die Figuren von Rees trifft, fühlt sich sofort aus der Zeit gerissen und staunt einfach.

im Morgentau, Weihnachten 2006, "Begegnung"
im Morgentau, Weihnachten 2006, "Begegnung"

An seiner Seite der heute 70-jährige Faller – und dessen Traktor. Pünktlich zu Weihnachten 2002 strömen die ersten Wanderer zur aufgestellten Krippe, die das Motto „Vergänglichkeit“ trägt und alle Erwartungen übertrifft. Die Figuren sehen aus, als seien sie der Requisitenabteilung eines mystischen Fantasy- Filmes entsprungen. Stämme und Äste mischen sich zum Teil unverarbeitet mit fein herausgeschnitzten Gesichtskonturen, einige Figuren haben Kleider, andere einen Busch als Haarpracht. „Das Thema Vergänglichkeit haben wir damals gewählt, weil die Krippe eben aus Naturmaterialien gemacht worden ist. Die Natur hat uns das Holz gegeben, sie hat es selbst erschaffen und wieder abgerissen. Wir lassen hier morsches Holz wieder auferstehen und geben es der Natur zurück“, sagt Rees, ein bescheidener, tiefgründiger Mann. Genauso wie er den Titel „Vergänglichkeit“ bewusst gewählt hat, benutzt er auch das Wort „zurückgeben“ bewusst: Nach ein paar Monaten kehrt das Holz an seinen ursprünglichen Ort zurück. Er verfrachtet die Krippe mitsamt den Skulpturen und dem gebauten Kamel auf die Bergkuppe, auf der er das Holz gefunden, gesehen hat.

 

Kamelberg 2006
Kamelberg 2006

Wo Lothar Chaos hinterlassen hatte, entsteht ein geheimer Open- Air-Kunstpark – und die Bergkuppe kommt zu ihrem heutigen Namen: Kamelberg. 2004 wurde eine neue Krippe aufgebaut, mit einem lebensgroßen Elefanten als Attraktion, der heute immer noch vor Fallers Hof steht, da es keiner der benachbarten Bauern bisher geschafft hat, das monströse Kunstgeäst mit dem Traktor auf den Berg zu schaffen. Jetzt hat Rees wieder eine neue Krippe zusammengestellt, unter dem Titel „Begegnung“. Besonderes Highlight: Ein riesiges, drachenähnliches Nashorn wird die heiligen drei Könige auf seinem Rücken zur Krippe tragen. Und ein weiterer – Krippen untypischer – Zaungast wird dem Spektakel beiwohnen: der Teufel persönlich. Eine Figur, die den gefallenen Engel Luzifer darstellt, wird das Treiben aus sicherer Entfernung vom Waldrand aus beobachten.

"Begegnung" Weihnachten 2006
"Begegnung" Weihnachten 2006

Nach anfänglichen Bedenken seitens der Kappler Kirche wird dies mittlerweile mehr als nur geduldet, der Kappler Diakon wird selber eine Andacht auf dem Pfeiferberg sprechen. Der lebensfrohe Faller wird sich dabei ein bisschen um das leibliche Wohl der Pilger kümmern. Geld verdient Rees mit seiner Arbeit keines. Sein Lohn sieht anders aus: „Ich sitze den ganzen Tag am PC, da bin ich froh, wenn ich mal was anderes machen kann!“, sagt er und blickt mit stolzer Zufriedenheit auf sein gerade fertig gestelltes Nashorn.

Felix Holm, Lars Bargmann, 2/2005

Chilli Freiburg

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