Archaische Wesen

Archaische Wesen

Tatort Schwarzwald. Er geht mit der Säge durch die Natur und schafft skurrile Skulpturen aus Bruchholz. Thomas Rees hat neues Leben in einen vom Sturm verwüsteten Forst gebracht.

Viel Zeit hat er nicht gebraucht, um erschaffen, nicht mehr als fünf Minuten.Thomas Rees nahm seine Motorsäge, fräste Kanten in ein Stück Holz – und das Nun liegt es in seinem Körbchen, herab, während der eisige Wind fegt. Eine stumme Szene, geschaffen einfachsten Materialien: ein hölzernes mit Kartoffelsack auf dem Kopf, aus dürren Ästen. Und doch magischer Ort zu sein hier droben, wo bedrohlich nah rückt. 1999, als „Lothar“ mit mehr als Stundenkilometern über das Land jagte. Ein Unwetter Folgen. Im Schwarzwald knickten wo einst finstere Wälder waren, Mikadostäbchen übereinander. einen Stadtteil von Freiburg, raste den Wald eine breite Schneise. Als zweiten Weihnachtsfeiertag aufs Dach um die Ziegel wieder zu befestigen, dass der dichte Forst verschwunden plötzlich licht, hell und nackt war. Nur hatten den Sturm überlebt. noch immer auf dem Kamelberg, sie in die Höhe, während inzwischen wundersame Gesellschaft die Lichtung belagert. heiligen Familie wacht ein grimmiger Nase. Dort drüben eine Jeanne d’Arc abstehen wie die Schlangen auf dem Geier gafft aus den Brombeerbüschen ein Einhorn, etwas abseits ein dort nicht jemand? Ein müder aus einer anderen Zeit? dieses geheimnisvolle, stille Szenario der kreischenden Motorsäge. immer wieder hinaufgestiegen vielen Baumstümpfe oder eine Wurzel vorgeknöpft.

Kamelberg 2003

„Kamelberg 2003

Eigentlich ist Techniker von Beruf und verdient sein „Ich lebe in zwei Welten“, sagt abgeknickten Stamm sieht, eine zerbrochenen oder verwachsenen Phantasie auf eine wilde Reise. Tiere, Gesichter, fremde Wesen Stück Holz erzählt ihm eine andere morschen oder krummen Ästen Wesen zu stecken, die von Rees Meistens setzt er mit der Säge Schnitte, und schon schält sich Holz heraus. „Man kann auch aus einer geraden Form etwas ganz Wildes machen“, sagt er, „aber es ist schöner, wenn die Form schon vorgegeben ist.“ Manchmal arbeitet Rees auch mit Stemmeisen und Hammer – Werkzeuge, die doch eigentlich fürs Grobe sind. Aber Rees weiß sie so geschickt einzusetzen, dass Gesichter plötzlich zarte Fältchen bekommen oder Vögel ein feines Gefieder. Er nutzt die Struktur des Materials. Löcher, die Misteln im Holz hinterlassen haben, wirken wie weiches Fell, Rinde wie runzlige Haut. Die Figuren und Tiere von Thomas Rees sind ausdrucksstark und erzählen viel – mehr übrigens als ihr Schöpfer. Er ist ein schweigsamer Mensch, er liebt es, sich nach der Arbeit in den Wald zurückzuziehen und seinen Assoziationen freien Lauf zu lassen.

Kamelberg

“Kamelberg” Winter 2003/2004

 

Das Kapplertal ist seine Heimat, hier wurde er 1959 geboren. Der Vater war Waldarbeiter. Bei ihm hat er gelernt, mit der Säge umzugehen. Aber der Junge zerlegte die Bäume nicht etwa, sondern beschäftigte sich lieber mit den Überresten, die bestenfalls noch als Brennholz taugten. Schon als Kind bastelte er, schnitzte und fertigte kleine Skulpturen. Das Haus, in dem Thomas Rees mit seiner Frau und den beiden Töchtern wohnt, hat er natürlich selbst gebaut, weil er am liebsten immer etwas tut, baut, sägt, hämmert, schafft und erschafft. Entstanden ist eine eigenwillige Architektur, ein Haus mit schiefen Wänden. „Und weil es dafür keine Möbel gab, musste ich sie eben bauen.“ So hat er Baumstämme zu Sesseln umfunktioniert, die Stühle am Esszimmertisch sind geschnitzte Figuren, selbst die Stereoanlage sitzt in einem fließenden, hölzernen Gehäuse – jeder Millimeter in diesem kleinen Paradies trägt seine Handschrift. Sogar der Hasenstall ist ein ausgehöhlter, dicker Baum, in den er farbige Glasscheiben eingesetzt hat, damit die Tiere es ein bisschen bunter haben. Hinter dem Haus beginnt die Idylle. Friedlich plätschert der Reichenbach, am Rande eines Wäldchens liegt die so genannte Skulpturenwiese. Am Boden aalen sich hölzerne Körper, die so verdreht und geschraubt sind wie die Figuren auf manieristischen Gemälden. Rees interessiert sich nicht für solche Vergleiche.

 

der Blaeser

„Mit Kunst beschäftige ich mich nicht“, sagt er. Macht er Kunst? Diese Frage stellt er sich gar nicht. Er macht einfach, macht Figuren, die man auch als Liegestuhl nutzen kann. Eine Eule, die er ganz frisch aus Robinienholz gesägt hat. Einen grimmigen Kopf, der gespenstisch wie auf einem Marterpfahl die Wiese überblickt. Rees hatte ihm Holzspachtel als Federschmuck angesteckt, aber sie sind längst verschwunden, „weil irgendwelche Kinder etwas als Schwert gebraucht haben“, sagt er. Auch die Schildchen mit Titeln wie „Blitzableiter und Wolkenspieß“ werden gern von Spaziergängern mitgenommen. Skulpturenwiese

Skulpturenwiese

Die Skulpturenwiese ist beliebt bei der Bevölkerung. Die Stühle und Liegen sind schon ganz blank poliert, so viele Hinterteile haben es sich darauf bequem gemacht. Es ist schließlich eine öffentliche Wiese, die die Stadt Freiburg Rees überlassen hat, während er sich verpflichtet hat, das Plätzchen zu pflegen. Früher hat er hier gearbeitet, inzwischen ist es ihm zu belebt. Deshalb ist er mit seiner Säge immer tiefer in den Wald verschwunden.

Das Unwetter kam dem Künstler fast gelegen. „Doch“, sagt Rees, „,Lothar‘ hatte auch seine Vorteile.“ Nicht nur, weil er ihm ein neues Experimentierfeld verschaffte. Auf dem Kamelberg hat man inzwischen eine herrliche Aussicht in alle Himmelsrichtungen. Früher standen hier Fichten und Tannen, der Neubeginn hat eine viel größere Vielfalt hervorgebracht. Heute wachsen Kiefern, Buchen, Ahorn und Birken, und es gibt sogar Heuschrecken und Eidechsen. Und eben seine Skulpturen. Die heilige Familie hat Rees übrigens nicht hier oben gefertigt, sie stand ursprünglich auf der Wiese des Bauern Otto Faller. Der hatte Rees vor zwei Jahren gefragt, ob er zu Weihnachten eine Krippe bauen könne. Tagelang brannten Kerzen, und es kamen Hunderte Besucher auf die Wiese neben dem Bauernhaus. Nur den Pfarrer ärgerte die Unternehmung. Er hätte die Spaziergänger lieber in der Kirche gesehen. Maria und Jesus wirft man nicht einfach auf den Kompost. Also schafften Rees und Faller die heilige Familie – zu der auch ein Kamel gehört – hinauf auf den Berg. Seither hat der Berg bei den Einwohnern von Kappel einen Namen: Kamelberg. Und seither hat Freiburg ein neues Ausflugsziel. Familien setzen sich auf die Skulpturen und packen ihr Picknick aus, andere suchen Pilze. Im Sommer übernachten Schulklassen gern auf dem Bergrücken, auch Rees hat hier schon manche Nacht mit seiner Familie verbracht.

Das Kamel ist inzwischen ein bisschen dünner geworden, weil es schon so viele liebkost und getätschelt haben und dabei Rinde und Äste abgefallen sind.

Auch der Kopf eines Hirten sinkt ständig ein bisschen tiefer, weil das Holz morsch wird. Mutwillig zerstört wurde aber noch nie etwas. Immer wieder legen Wanderer dem Jesuskind ein Blumensträußchen in die Wiege oder stellen eine Kerze auf. „Es gibt sogar Leute, die den Weg frei schneiden und aufräumen“, erzählt Rees. Es muss an der Magie des Ortes liegen, dass hier niemand auf die Idee kommt, ein Herz ins Holz zu kratzen. Auf dem Kamelberg erlebt man nicht nur das Kunstwerk Natur, sondern auch ein Stück Zeitlosigkeit. Etwas Ewiges steckt in den Wesen von Rees, etwas Archaisches. Sie erinnern ans finstere Mittelalter, die Germanen und an die Ära der Dinosaurier. Plötzlich bekommt man eine Ahnung, wie viel Vergangenheit an diesem Flecken Erde steckt, sodass es einem ganz wohlig ums Herz wird. In zehn oder spätestens ein paar tausend Jahren sind all die „Lothars“, sind unsere kleinen Sorgen und großen Katastrophen vergessen. Denn davon geht die Welt nicht unter.

 

 

Adrienne Braun, Natur + Kosmos 12/2004

 

Begegnung
„Begegnung“ Ostern 2007, am Pfeiferberg

 

 

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