„Agatha L2“
– von Beischlaf, Hexenjagd und Mechanismen
die Skulptur: ein paar Gedanken dazu –
Die Skulptur ist nach einem Mädchen benannt, das vor über 400 Jahren in Freiburg lebte, in einer Zeit, in der die Sorge um das Seelenheil, Hexenwahn und Aberglaube tief in der Psyche vieler Menschen verwurzelt waren. Ob Pest, Missernten, Impotenz oder eine verendete Kuh…, – Miseren forderten Schuldige. Richtende fanden sich ebenso schnell, wie Scheiterhaufen entzündet waren. — Fanatiker, Rattenfänger, Gedankenwächter, Moralapostel (die Reihe wäre leicht fortzusetzen…) wussten dies schon immer zu nutzen und der Mob war schnell auf den Beinen. Auch Agatha war eine derer, die in ein solches Mahlwerk getrieben wurde.
Die Skulptur Agatha L2 entstand im Jahr 2021. Freiburg gibt sich offen, gegendert, selbstgerecht — Inquisition und Hexenjagden sind Geschichte. Die bloße Bezichtigung eines Beischlafs mit dem Leibhaftigen ist nicht mehr lebensbedrohlich – dafür gibt es aber andere Keulen. Gewisse Muster und Mechanismen ziehen sich durch die Zeit. Nun oft gelagert in einer digitalen Blasenwelt, wabert die Personalisierung des „neuen Diabolischen“ in einem unguten Gemenge: die Dummheit wird gut bedient, Zündeln fällt leicht und Stürme sind schnell entfacht. Nicht die Pest, sondern ein winziges RNA-Schnippel mischt dazu noch kräftig mit und die medialen Schreiberlinge reiben sich dabei geschäftig die Hände.
Die Skulptur Agatha L2, eine Figur auf einem Scheiterhaufen, geschnitten aus der Krone einer alten mehrfach gegabelten, gebrochenen, zerrissenen und eigentlich unzulänglichen Eiche, erzählt eine Geschichte davon –
Motive: oben rechts: die Agatha L2 – oben links: der Neid-Dämon mit der Schlangenzunge*² – in der Mitte vorne: der Scheiterhaufen, darunter: MMXXI = 2021 – rechts davon: der/die (betende oder Beifall klatschende) Teufel*in – unter dessen Hinterteil: – das Gremium der Gedankenwächter, daneben: der mit dem Hohlkopf, mit Mantel und Hut, Ratte und Sündenbock an der Leine – vorne unten: die Kleingeister in ihrem Werken – unten rechts: die mit der Keule – ganz unten: der Seelensumpf – Rückseite: unter dem Huf, die Panflöte – rechts davon: das Virus
*² Die Schlangenzunge des Dämons in Anlehnung an Giotto di Bondones Fresko Invidia – der Neid. Ein Monstrum, das von innen zerfrisst und dessen Zunge schlangenhaft aus dem Mund schießt, sich wendet und die Giftzähne zurück gegen den Missgünstigen richtet.
* Die Allegorie, altgriechisch allegoría ‚andere‘ bzw. ‚verschleierte Sprache‘. Das auf den ersten Blick sichtbare kann recht unterhaltend sein. Um tieferliegende verwobene Schichten in einer Allegorie erfassen zu können, muss der Betrachter allerdings mit den geschichtlichen und geistigen Zusammenhängen vertraut sein. Der hintergründige Sinn bleibt ansonsten verborgen und wie leider so oft in unserer „Empörungskultur“ wird dann gleich übereifrig zur „Keule“ gegriffen. („die mit der Keule“ kombiniert mit den „Kleingeistern“ in der Skulptur)
* Diabolisch, ‘teuflisch, boshaft’, Verleumder, abgeleitet von griech. Diabállein, ‘entzweien, verleumden’, eigentlich ‘auseinanderwerfen’.
zur Namensgeberin:
Agatha war die Tochter einer 1603 in Freiburg als Hexe verurteilten Frau, die auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde.
Agatha wurde ebenfalls der Hexerei bezichtigt. Wohl aus Angst vor der Folter gestand das Kind unter anderem den Beischlaf mit dem Teufel. Ein Gelehrter der Universität Freiburg erstellte dazu ein Gutachten, das dem Stadtrat in Freiburg vorgetragen wurde. Seine Empfehlung war, Agatha bis zu ihrem 16. Geburtstag gefangen zu halten, sie bei anhaltendem Verdacht der Folter zu unterziehen und nach dem Geständnis zu exekutieren.
Glücklicherweise gab es auch damals gegensätzliche Bestrebungen. Agatha wurde nach einem weiteren Gutachten begnadigt, fand Asyl bei einer Familie in einer anderen Stadt und kam mit dem Leben davon.
Das „L2“ erinnert an den Werdegang einer Skulptur – rund 400 Jahre nach diesen Geschehnissen.
Thomas Rees im Dezember 2021
„In der Kunst erscheint der Neid über alle Epochen hinweg als gelbes Monster, das die Betroffenen von innen zerfrisst. So wie in Giottos 1305 geschaffenem Fresco „Invidia“, deren Zunge aus ihrem Hals schießt wie eine Schlange, die sich einmal um die eigene Achse dreht und ihre Giftzähne zurück gegen die Augen der Missgünstigen richtet. Neid wirkt zerstörerisch, nicht nur für die Betroffenen selbst, sondern auch für die Gesellschaft“
(Die Welt 9.12.2011).
Ratten sind ein Synonym für bevorstehendes Unglück, für Not, Zerfall, Seuche, Krankheit und Tod. Sie vermehren und verbreiten sich im Verborgenen und dringen in Menschenbereiche ein.
Seelensumpf oder Abgründe der Seele (Psyche)
Diabolisch, ‘teuflisch, boshaft’, Verleumder, abgeleitet von griech. Diabállein, ‘entzweien, verleumden’, eigentlich ‘auseinanderwerfen’.
Eichenholz, Höhe, 4,5 Meter
Sapere aude!